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„Sinnlose" Erklärung kann Einspruch sein

geschrieben amMo, 03/27/2023 - 12:36

Wird gegenüber dem Finanzamt eine Stellungnahme zu einer streitigen Frage abgegeben, die nicht als Einspruch ausgelegt werden kann, kommt gleichwohl nach dem Rechtsgedanken des § 140 BGB eine Umdeutung in einen Einspruch in Betracht (FG Münster, Urteil v. 12.12023 - 8 K 1080/21; Revision anhängig, BFH-Az. VII R 7/23).
Sachverhalt: Das FA richtete im Hinblick auf eine beabsichtigte Haftungsinanspruchnahme für Steuerschulden einer KG schriftliche Anfragen an die beiden Kläger. Nachdem bis auf einen Fristverlängerungsantrag des Prozessvertreters der beiden Kläger keine weitere Rückmeldung erfolgt war, erließ das Finanzamt jeweils Haftungsbescheide, die es beiden Klägern an ihre Privatanschrift zustellte. Innerhalb der Einspruchsfrist nahm der Prozessbevollmächtigte für beide Kläger inhaltlich zu den zuvor gestellten Anfragen Stellung. Die Haftungsbescheide waren ihm zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Schreiben nicht bekannt. Nach Kenntnisnahme der Bescheide trug der Prozessvertreter vor, seine Schreiben seien als Einsprüche zu werten. Da die Einspruchsfrist zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen war, verwarf das Finanzamt die Einsprüche wegen Fristablaufs als unzulässig.
Die Klage, mit der die Kläger lediglich die isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidungen beantragten, hatte Erfolg:
•    Das FA hat die Einsprüche zu Unrecht als unzulässig verworfen. Die Haftungsbescheide sind zunächst wirksam an die Privatadressen der Kläger zugestellt worden, da der Prozessvertreter zuvor keine Vollmachten vorgelegt hat. 
•    Die innerhalb der Einspruchsfrist eingegangenen Schreiben können zwar nicht als Einsprüche ausgelegt, aber in solche umgedeutet werden.
•    Eine Auslegung scheitert daran, dass der wirkliche Wille nicht auf Anfechtung der Haftungsbescheide gerichtet gewesen sein kann, weil dem Prozessvertreter die Bescheide nicht bekannt gewesen sind.
•    Nach dem Rechtsgedanken des § 140 BGB kommt jedoch eine Umdeutung in Betracht. Diese zivilrechtliche Vorschrift regelt, dass ein nichtiges Rechtsgeschäft, das den Erfordernissen eines anderen Rechtsgeschäfts entspricht, in ein wirksames Rechtsgeschäft umgedeutet werden kann, wenn ein entsprechender Wille anzunehmen ist. Grundsätzlich ist die Umdeutung auch im Steuerrecht anerkannt.
•    Nach Auffassung des Gerichts sind wegen des Gebots effektiven Rechtsschutzes auch „sinnlose“ Verfahrenserklärungen umdeutungsfähig. Im Streitfall ist erkennbares Ziel der beiden Stellungnahmen des Prozessvertreters, auf dessen Kenntnishorizont abzustellen ist, die Verhinderung der Haftungsinanspruchnahme der Kläger gewesen. 
•    Dieses Ziel hat er aber nach Erlass der Haftungsbescheide nur durch Einlegung von Einsprüchen erreichen können. Es ist kein vernünftiger Grund ersichtlich, weshalb er nicht gegen die Bescheide Einsprüche eingelegt hätte, wenn ihm deren Existenz bekannt gewesen wäre.
•    Einer Umdeutung steht auch nicht entgegen, dass die Stellungnahmen von einem Rechtsanwalt verfasst wurden, deren Verfahrenserklärungen grundsätzlich beim Wort zu nehmen sind. Hiervon ist eine Ausnahme zu machen, wenn dem Rechtskundigen die tatsächliche Verfahrenssituation nicht bekannt gewesen ist.
•    Da die Umdeutung ein verschuldensunabhängiges Rechtsinstitut darstellt, ist schließlich unerheblich, dass die Kläger ihren Prozessvertreter schuldhaft nicht rechtzeitig über die Zustellung der Haftungsbescheide informiert haben.
Hinweis:
Der Senat hat die Revision zugelassen. Diese ist beim BFH unter dem Az. VII R 7/23 anhängig.